Didaktische Interpretation

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Didaktische Interpretation von Musik

Die Didaktische Interpretation bezeichnet ein musikdidaktisches Konzept, welches Anfang der 1970er Jahre von Karl Heinrich Ehrenforth (1971) und Christoph Richter (1976) entwickelt wurde. Es steht in der Tradition der Bildungstheoretischen Didaktik[1]. Das Hauptziel dieser Konzeption richtet sich auf das Verstehen von Musikwerken und basiert auf den Grundgedanken der philosophischen Hermeneutik (= Lehre des Verstehens). Im Gegensatz zur früheren schulischen Werkbetrachtung, bei der dem Kunstwerk an sich ein feststehender Wert beigemessen wurde, geht die Didaktische Interpretation von dem Grundgedanken aus, dass erst im individuellen Verstehensprozess eine bestimmte Wertigkeit eines Musikstückes erkannt werden kann.

Hermeneutische Grundlagen der Konzeption

Nachdem man zu Beginn der 1970er Jahre die Kunstwerkorientierung als zu eng empfunden hatte, boten die Grundlagen der philosophischen Hermeneutik der Werkinterpretation eine Neuorientierung an. Das zentrale Anliegen der Hermeneutik ist die Frage nach den Bedingungen und der Struktur des Verstehens unter besonderer Berücksichtigung des verstehenden Subjekts (Schüler), dessen sich ständig veränderndem Verstehenshorizontes und seiner individuellen Vorerfahrungen. Grundlage des Verstehensbegriffs ist das Modell des Hermeneutischen Zirkels: Sowohl Verstehensobjekt (Musikwerk), als auch Verstehenssubjekt (Schüler) und Verstehensstruktur (Erwartungen, Vorverständnis des Schülers) stehen in einer wechselseitigen, unabschließbaren Beziehung zu einander.

Merkmale

Während Ehrenforth eine Definition der Didaktischen Interpretation liefert, richtet sich Richters Augenmerk darüber hinaus auf die konkrete Durchführung der Konzeption. Dabei unternimmt er den Versuch eines Brückenschlages zwischen Musikwerk und Schüler, indem er Werkanspruch („Sache“) und Höreinstellung („Mensch“) miteinander verknüpft. Der Verstehensprozess geht über die reine Auseinandersetzung mit dem Werk (Musikverstehen) hinaus: er umfasst zusätzlich einen Erkenntnisgewinn über die Welt (Weltverstehen) und des Subjektes über sich selbst (Selbstverstehen). Diesen Prozess stellt Richter in einem Modell dar. Die Konzeption geht von einem Schülerbild aus, das den Schüler nicht als feste, für pädagogische Handlungen verfügbare Größe ansieht, sondern als Persönlichkeit, die dem Unterrichtsgegenstand individuell gegenübertritt. Der Lehrer fungiert als Vermittler zwischen Werk und Schüler. Dabei tritt er als gleichgestellter Partner seiner Schüler auf, da auch er sich in einem Verstehensprozess befindet, den er seinen Lernenden offen legen sollte. Er initiiert sogenannte „Treffpunkte“ zwischen Schüler und Musikwerk: Dies sind Orte der Gemeinsamkeiten, zu denen die Beteiligten ihre individuellen musikalischen Erfahrungen mitbringen, die sich in allgemeinen Begriffen wie „Liebe“, „Zeit“, „Gespräch“ oder „Trauer“ fassen lassen. Von diesen Treffpunkten aus wird der Verstehensweg dann begonnen. Richter betont ausdrücklich die Genauigkeit, die eine solche Interpretationskonzeption von Musik erfordert, um einer drohenden Beliebigkeit im schulischen Umgang mit Musikwerken entgegenzuwirken.

Kritik

Richters Modell wurde vorwiegend im Hinblick auf die sogenannte „klassische“ Musik konzipiert. Zudem stellt sich die Frage, ob tatsächlich von solchen „gemeinsamen Treffpunkten“ ausgegangen werden kann, wie es für Richter selbstverständlich ist (Jürgen Vogt).

Literatur

  • Ehrenforth, Karl Heinrich (1971): Verstehen und Auslegen. Die hermeneutischen Grundlagen einer Lehre von der didaktischen Interpretation von Musik. Frankfurt am Main, Berlin, München: Diesterweg.
  • Richter, Christoph (1976): Theorie und Praxis der didaktischen Interpretation von Musik. Frankfurt am Main, Berlin, München: Diesterweg.
  • Richter, Christoph (1991): Musikverstehen - Weltverstehen - Selbstverstehen. Zu Theorie und Praxis der didaktischen Interpretation von Musik. 1. Teil: Grundlegendes. In: Musik in der Schule. 42. Jahrgang, Heft 6. S. 362 - 364.
  • Richter, Christoph (1992): Musikverstehen - Weltverstehen - Selbstverstehen. Zu Theorie und Praxis der didaktischen Interpretation von Musik. 2. Teil: Unterrichtsbeispiel. In: Musik in der Schule. 43. Jahrgang, Heft 1. S. 8 - 12.
  • Richter, Christoph (1994): Zum Umgang mit Musikwerken. Geschichte und Weiterentwicklung der didaktischen Interpretation von Musik. In: Gembris, Heiner; Kraemer, Rudolf-Dieter; Maas, Georg (Hg.): Musikpädagogische Forschungsberichte 1993. Augsburg: Wißner. (= Forum Musikpädagogik Band 6) S. 41 - 70.
  • Stroh, Wolfgang Martin (1984): Der Tantris mit sorgender List sich nannte ... Hermeneutische Interpretation und Schülerorientierung. in: Musik und Bildung Heft 6. S. 440-444.

Anmerkungen

  1. Knapp gefasste Informationen zur Bildungstheoretischen Didaktik findet man auf folgender Internetseite der Uni Jena (Zentrum für Didaktik): Bildungstheoretische Didaktik