Ward-Methode

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Justine Ward

Biografisches

Justine Bayard Ward wurde am 7. August 1879 in Morristown, New Jersey, als Tochter einer wohlhabenden anglikanischen Familie geboren. Durch das hohe Interesse ihres Vaters William Bayard Cutting an Wissenschaft und Kunst erhielt sie die für aus höheren Gesellschaftsschichten stammende Frauen damals übliche musikalische Ausbildung. Ihr Wunsch, in Europa zu studieren wurde ihr verwehrt, doch konnte sie entgegen der gesellschaftlichen Konventionen schon mit 16 Jahren Komposition, Harmonielehre, Kontrapunkt, Instrumentation und Formenlehre bei Herman Hans Wetzler studieren. Sie hatte sich in ihren bisherigen Studien stark mit der katholischen liturgischen Musik auseinander gesetzt, vor allem mit der frühen Polyphonie. Am 2. Februar 1902 verlobte sie sich mit dem katholischen Rechtsanwalt George Cabot Ward. Ihre Hochzeit fand am 2. Juli 1901 in London statt. Ein weiteres einschneidendes Datum in Justine Wards Leben ist der 27. Januar 1904, an dem sie zur Katholischen Kirche übertritt. Als ausschlaggebend für ihre Konversion wird die Veröffentlichung des Motu Proprio Tra le sollecitudine Papst Pius' X. über die Erneuerung der Kirchenmusik vom 22. November 1903 angesehen. In einem Brief zum 25. Jubiläum dieses Schreibens schreibt sie:

"Pour moi aussi, - je n’étais pas encore catholique – mais ce document du Pape m’avait fait une profonde impression et je m’étais déjà promise que, quand je serais reçue je travaillerais pour cette bonne cause" (Steinschulte, S. 18). (Sinngemäße Übersetzung: "Auch für mich – ich war noch nicht katholisch – aber dieses Dokument des Papstes hat einen starken Eindruck auf mich gemacht und ich hatte mir schon versprochen, dass ich nach meiner Aufnahme für diese gute Sache arbeiten würde.")

Die Verwirklichung dieser „bonne cause“ sollte ihr zur Lebensaufgabe werden. In diesen Jahren waren zwei Personen besonders wichtig für sie: Dr. Thomas Shields, der Dekan der Pädagogischen Fakultät der Catholic University of America in Washington, D.C. war und Dom André Mocquereau O.S.B., ein Benediktinermönch aus St. Pierre, Frankreich. Mit diesen beiden hielt sie engen Kontakt, besprach ihre Ideen und Pläne und erhielt wertvolle Anregungen zur Entwicklung ihres Konzeptes. Ihre Arbeit brachte ihr zahlreiche internationale akademische und bürgerliche Ehrungen ein. Unter anderem erhielt sie als erste Frau die Ehrendoktorwürde des Päpstlichen Instituts für Kirchenmusik in Rom. Justine Bayard Ward starb am 27. November 1975 in Washington, D.C.

Die Methode

Ziele

Angespornt durch das päpstliche Motu Proprio gründete Justine Ward zunächst eine Mädchenschola. Sie stieß aber in ihrer Arbeit häufig auf Schwierigkeiten, vor allem was Vom-Blatt-Singen und sichere Intonation anbelangte. Sie entschloss sich dazu, den aufwändigen Weg zu gehen und bei der musikalischen Bildung der kleinen Kinder anzufangen. Sie entwickelte in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Fakultät der Catholic University of America, Washington, D.C. ein konsequentes Bildungsprogramm, das in der Grundschule beginnen sollte. Dies kann als Geburtsstunde der Ward-Methode angesehen werden. Sehr bald wurde aufgrund ihres Erfolges diese Methode in die Curricula der katholischen Grundschulen in den USA aufgenommen. Zur Verbreitung der Methode tragen auch die zahlreichen Fortbildungen bei, die Justine Ward für Lehrerinnen und Lehre durchführt. Bei diesen wird die Methode nicht nur "Anfängern" vermittelt, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer, die die Methode bereits einsetzen, kommen dort zusammen, um ihre Erfahrungen und Probleme zu besprechen. Somit konnte die Methode immer weiter angepasst und erweitert werden. Man kann sagen, dass die Ward-Methode dadurch eine langjährige Evaluation durchlebt hat und als sehr ausgereift gelten darf. Trotz des großen Erfolges ihrer Methode und der hohen Nachfrage nach ihren Fortbildungen verlor Justine Ward aber ihr Hauptziel nie aus den Augen: Die Reform der Kirchenmusik und die liturgische musikalische Gestaltung vor allem durch die gregorianischen Gesänge. Trotz dieses Ziels und damit auch des inhaltlichen Schwerpunkts der Methode ist sie dennoch universell anwendbar und nicht ausschließlich auf katholisches Liedgut beschränkt (vgl. Steinschulte, S. 4-23; Brand et al., S. 2).

Aufbau / System

Das Ward-System ist prinzipiell für acht Jahre Primary School ausgerichtet. Ward-Lektionen sind immer gleich strukturiert. Dadurch entsteht ein 'quasi-liturgischer' Ablauf und diese Ritualisierung kommt dem Lernen der Kinder sehr entgegen. Die Ward-Methode geht vom christlichen Menschenbild aus, dass jeder ein Kind Gottes und somit einzigartig ist. Deshalb unterstützt die Methode größtmögliche Individualität: Musikalische Selbständigkeit ist das Ziel, die Befähigung zur Musikpraxis und nicht das Erlernen einer Theorie. Es werden drei Entwicklungsphasen unterschieden:

Nachahmung
Der Lehrer soll sich nach und nach überflüssig machen, sich immer mehr zurückziehen und nur koordinieren. "Ein sechsjähriges Kind liebt es, andere nachzumachen. Aber die Aufgabe des Lehrers besteht darin, es so schnell wie möglich von der reinen Nachahmung zum Verständnis und selbständigen Tun zu führen" (Brand et al., S. v).
Verständnis
Die Schüler beginnen intellektuell zu verstehen, welche Zusammenhänge bestehen, allerdings nicht durch Auswendiglernen, sondern durch das Erfahren 'am eigenen Leibe' von musikalischen Grundgegebenheiten (ebd.).
Entfaltung
In der dritten Phase wird am stärksten auf die Eigenaktivität der Schüler gesetzt. Auf die Spitze getrieben hieße das: 'Der Lehrer darf nie vorsingen und nachsingen lassen!'. Dies darf jedoch nicht als allgemeines Verbot betrachtet werden, sondern soll die hohe Achtung vor der Schülereigenleistung betonen (ebd.).

Als Konsequenz für den Unterricht ergeben sich daraus nur sehr kleine Lernschritte. So werden z.B. erst sehr spät Intervalsprünge gelernt und lange Zeit nur mit Skalen gearbeitet. Auch, wenn die Kinder z.B. durch das Singen in anderen Chören schon längst diese Intervalle kennen. Die Ward-Methode ist somit 'langsam', da sie nicht zielorientiert, sondern prozessorientiert vorgeht. Sie richtet sich immer nach dem Tempo der Kinder und nicht nach einem Lehrplan, der bestimmte Standards einzuhalten hätte. Natürlich hat so auch jede Klasse ihr individuelles Lerntempo. Es kann durchaus vorkommen, dass man am Ende des Schuljahres nicht 'fertig' mit einem Band ist. Mehrstimmigkeit, sowohl homophon als auch polyphon kommt erst etwa ab dem 5. Schuljahr zum Zuge. Hier kommt das grundsätzlich unterschiedliche Konzept der Ward-Methode und etwa der chorischen Arbeit zu Tage: In Chören wird häufig nicht prozess-, sondern ziel- und leistungsorientiert gearbeitet.

Struktur einer Unterrichtseinheit

Die Gesamtstruktur einer Ward-Stunde besteht aus 5-6 Elementen, die jedes Mal in der gleichen Abfolge vorkommen. Daraus ergibt sich, dass sich diese Phasen recht schnell abwechseln, denn eine gesamte Ward-Einheit dauert nur ca. 20 bis 25 Minuten. Einige Elemente fordern von den Schülerinnen und Schülern eine hohe Konzentration, weshalb es auch immer wieder entspannende Übungen gibt. So wird beispielsweise häufig zwischen Übungen im Stehen und im Sitzen abgewechselt.

Eine Ward-Einheit beginnt zunächst mit Übungen zur Stimmbildung. Dazu werden auf die Silbe "Nu" Töne lang ausgehalten. Die Lehrer achten dabei z.B. darauf, dass die Lippen eine runde Öffnung bilden und der Ton sich gut entfalten kann. Unterstützt wird diese Entfaltung durch eine Geste: Zu Beginn des Tons haben die Kinder beide Hände über dem Kopf und breiten sie dann in weitem Bogen aus. Der Ton wird gehalten, bis die Arme einen Kreis beschrieben haben. Diese erste Phase hat zudem auch die Funktion eines Einsingens, da unterschiedliche Tonhöhen gesungen werden. "Nu" steht immer für eine unbestimmte (also weder relativ noch absolut festgelegte) Tonhöhe.

Die nächste Übung dient der Gehörbildung und soll gleichzeitig eine gute Intonation sichern. Dieser Teil erfordert vermutlich die höchste Konzentration, weshalb diese Übung ganz am Anfang jeder Ward-Einheit steht. Hierzu werden an die Tafel notierte "Melodien" (in Zahlen kodiert, z. B. 1 – 2 – 3 – 4 – 5 = do – re – mi – fa – sol) vom Blatt gesungen und zwar sowohl solistisch als auch von einzelnen Gruppen oder der ganzen Klasse. Auch hier gibt es einen langsam ansteigenden Schwierigkeitsgrad. Es dauert relativ lange, bis ein neuer Ton zum Repertoire hinzugefügt wird. Von den Schülerinnen und Schülern wird auch immer verlangt, sich selbst und ggf. Solisten gut zuzuhören und die Intonation zu prüfen, was auch ihr eigenes Gehör schult. Das Vorsingen wird von Anfang an als selbstverständlich gelehrt, was dazu führt, dass sich selten jemand schämt, vorzusingen.

Des Weiteren werden auditive und visuelle Diktate eingesetzt, um das gute Treffen der Töne einzuüben. Beim auditiven Diktat singt der Lehrer eine bestimmte Melodie auf der neutralen Silbe "Nu" vor. Dabei zeigen die Kinder stumm den Tonhöhenverlauf am eigenen Körper mit und können die Melodie im wahrsten Sinne des Wortes "erfahren". Zum Anzeigen der relativen Tonhöhe fährt der Arm am Körper entlang:

  • do = Bauchnabel
  • re = Brust
  • mi = Kinn
  • fa = Nase
  • sol = Hand liegt auf Kopf
  • la = Hand wird angehoben
  • ti = Arm gestreckt, Hand aber nicht
  • do' = Hand wird ebenfalls gestreckt

Dann dürfen Freiwillige ihren Lösungsvorschlag der Klasse präsentieren. Beim visuellen Diktat ist eine abstrakte Tonleiter (z.B. Zahlen 1 bis 7 = do – ti) auf die Tafel oder ein Plakat geschrieben. Der Lehrer zeigt die Melodie mit dem roten Ende des Ward-Stockes ("Denk-Noten") und die Schüler begleiten diese wiederum gestisch. Der Ward-Stock ist ein einfacher Zeigestock, dessen eine Seite rot und dessen andere Seite grün angemalt ist. Mit dem roten Ende auf eine Note zeigen, bedeutet für die Schüler, sich den Ton nur vorzustellen, mit dem grünen Ende hingegen, den Ton auch laut zu singen.

Rhythmische Übungen werden immer vom "Ticken", dem Tippen des Zeigefingers der einen auf die Innenfläche der anderen Hand begleitet. Hierin zeigt sich wieder, dass das musikalische Verständnis möglichst über verschiedene Zugänge erfahren werden soll. Eingeübt werden so Viertelnoten, Halbe Noten, Pausen, gerade und ungerade Takte. Also sozusagen die rhythmischen Atome der Musik.

Sehr interessant sind auch freiere, improvisatorische Einheiten, die oft als Spiel funktionieren, z.B. das"Spatzengespräch". Grundregel ist, dass eine Person – also Lehrer oder SuS – eine beliebige Tonfolge vorsingt und eine andere Person antwortet. Dazu kommen dann je nach Situation oder Lernstand einschränkende Regeln, wie etwa "Beginne mit dem Ton, mit dem dein Vorgänger aufgehört hat" oder "Beginnt immer auf do".

Literatur, Materialien

Die offizielle Literatur wird von der Catholic University of America herausgegeben und kann sowohl als Leitfaden als auch als Materialsammlung dienen, aus der die einzelnen Elemente zur Gestaltung einer Einheit ausgewählt werden können. Zudem gibt es Materialien wie wie den Ward-Zeigestock und Poster, auf denen komplette Übungen abgedruckt sind.

Grenzen der Methode

Aufgrund ihres langsamen Tempos leistet die Ward-Methode nur einen geringen Beitrag zum Erlernen musikalisch komplexer Strukturen wie z.B. Mehrstimmigkeit, Modulation, Alterationen, etc. Diese Elemente sind zwar in der Methode enthalten, erscheinen aber relativ spät (nach ca. vier Jahren). Was auch in den ersten Jahren fehlt, ist das Musikhören. Die meisten Schwierigkeiten bestehen in der Motivation zu den Bewegungen. Außerdem kennen die Kinder aus dem Instrumental- und Chorbereich schon viel mehr, als sie sich mithilfe von Ward erarbeitet haben. Ein Transfer des Wissens aus dem Ward-Unterricht auf andere musikalische Bereiche findet nach seiner Aussage jedoch nur selten statt. Eine Interessante Erfahrung über die Ward-Methode kann man aus Berichten von Eltern ziehen: Sie erzählen z.B., wie ihre Kinder zuhause mit ihnen, den Großeltern oder Puppen den Ward-Unterricht nachspielen. Dies zeigt zum einen die Freude an der Methode, aber auch, dass sie auch außerhalb der Schule Wirkung zeigt. Die Kinder komponieren kleine Zahlenmelodien, auch wenn diese oft sehr fantasievoll sind.

Weiterer Einsatz der Methode?

Die klassische Ward-Methode beginnt mit der Entwicklung der Lese-Schreib-Kompetenz, da die Kinder eine Sensibilität für schriftliche Symbole besitzen müssen. Der Einsatz der Methode an weiterführenden Schulen ist durchaus denkbar. Hier würde sich aufgrund der höheren intellektuellen Fährigkeiten der SuS sicherlich ein schnelleres Lerntempo ergeben, so dass man die komplette Methode sicherlich vollständig abarbeiten könnte.

Ausbildung von Ward-Lehrern

Die Landesmusikakademie NRW veranstaltet regelmäßig Kurse zur Ausbildung von Ward-Lehrern. Einmal im Jahr gibt es die so genannte Ward-Woche, in der ausführlich Kenntnisse vermittelt werden. Insgesamt gibt es somit ca. 5 - 6 Termine pro Jahr, was es vielen Lehrerinnen und Lehrern ermöglicht, an einer solchen Fortbildung teilzunehmen. Da es mehr als sinnvoll ist, das in den Kursen Erlernte sofort anwenden und auszuprobieren, sind diese Kurse für Studierende nur bedingt geeignet.

Literatur

  • Brand, U.; Klusen, E.; Lennards, J. (Hg.): Jeder kann singen. Erstes Buch – Lehrerhandbuch. In: Center for Ward Method Studies (Hg.): Veröffentlichungen der Ward-Methode. Musikpädagogik von Justine Ward, The Catholic University of America, Washington, D.C.
  • Oost-Zinner, A.: Veröffentlicht auf: Chant in Liturgy Today. An Interview with Gisbert Brandt.
  • Papst Pius X.: Motu proprio „Tra le sollecitudine“ über die Erneuerung der Kirchenmusik. 22.11.1903
  • Steinschulte, G. M.: Die Ward-Bewegung. Studien zur Realisierung der Kirchenmusikreform Papst Pius X. in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Hüschen, H. (Hg.): Kölner Beiträge zur Musikforschung, Bd. 100, Gustav Bosse Verlag Regensburg (1979)
  • Ward, J. B.: The Reform of Church Music. Veröffentlicht auf: The Reform of Church Music.